Meine Hochzeitsnacht

Apr 29, 2016 | Allgemein | 12 Kommentare

Dieser Artikel liegt schon lange mehr oder weniger unfertig in meinen Entwürfen. Bisher habe ich mich nicht getraut ihn zu Ende zu schrieben und auf den veröffentlichen Button zu drucken. Doch heute, quasi zum Jubiläum ist es mehr als passend und an der Zeit euch einen ganz privaten Einblick zu geben. Heute auf den Tag […]
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Wer schreibt hier: Christina Nagel-Gasch | 45 Jahre | Diplom Kauffrau | Mutter einer 16-Jährigen Tochter | gern auf Reisen | liebe die Malerei | süchtig nach Törtchen & Schokolade

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Dieser Artikel liegt schon lange mehr oder weniger unfertig in meinen Entwürfen. Bisher habe ich mich nicht getraut ihn zu Ende zu schrieben und auf den veröffentlichen Button zu drucken. Doch heute, quasi zum Jubiläum ist es mehr als passend und an der Zeit euch einen ganz privaten Einblick zu geben.

Heute auf den Tag genau feiere ich meinen 10. Hochzeitstag. In der schnelllebigen Zeit von heute, in der sich immer mehr Menschen geschieden werden oder sich bewusst entscheiden, Single zu sein und zu bleiben, ist das schon fast ein kleines Wunder und ich bin stolz darauf. Aber das hier wird kein Beitrag in dem ich lobpreise wie sehr ich meinen Mann liebe und was für eine tolle Ehe wir führen. Vielmehr möchte ich euch von ein paar Stolpersteinen in meinem Leben erzählen. Von meiner Hochzeitsplanung, meiner Hochzeit und meiner Hochzeitsnacht – einer Nacht die alles veränderte.

Sprung zurück ins Jahr 2006 – wenige Wochen vor Ostern.

Wir waren zu Besuch in Dresden und haben mit meinen Eltern den Ostereiermarkt besucht. Meiner Mutter ging es gar nicht gut. Seit Wochen verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand immer mehr. Sie hatte Krebs.

Das war der ausschlaggebende Grund, warum ich meinem Mann die Pistole auf die Brust gesetzt habe: “Entweder machst du mir einen Antrag oder ich mache es!” Versteht mich nicht falsch, wir waren bereits seit sechs Jahren zusammen und heiraten war schon lange ein Thema, aber es fehlte der eine entscheidende Schritt zum Antrag. Wir haben immer gewartet auf den einen, den richtigen Moment.

Zurück in unserer Wahlheimat Köln gab es dann auch schnell den erpressten Heiratsantrag. Nach dem JA ging es direkt an die Hochzeitsplanung. Wir suchten nicht nach einem besonders schönen Datum, wählten nicht nach der sommerlich warmen Jahreszeit, schauten nicht nach der Verfügbarkeit einer ausgefallenen Location – nein, wir suchten nach dem nächstmöglichen freien Termin. Ich habe die Standesämter in Dresden und Umgebung abgeklappert. Das Standesamt, welches mir den frühstmöglichen Termin für eine Hochzeit nannte bekam den Zuschlag. So ergab es sich, dass wir fünf Wochen später in Radebeul einen Termin zur Hochzeit hatten.

Wofür andere Monate oder gar Jahre planen, dafür hatten wir gerade einmal fünf Wochen. Location suchen,  Leute einladen, Fotograf finden, Essensauswahl treffen, Ringe auswählen, Kleid kaufen, Anzug anpassen und so unendlich viele kleine Dinge mehr.

Es war nicht einfach, aber nach und nach fügten sich alle Puzzleteile zu einem Bild zusammen. Wir haben uns so sehr gefreut, dass es die Freunde und Verwandten so kurzfristig möglich machen konnten, nach Dresden anzureisen, um uns an diesem Tag zu begleiten.

Der Gesundheitszustand meiner Mutter hatte sich zwischenzeitlich weiter rapide verschlechtert. Sie war nicht mehr Zuhause, sondern lag in einem Hospiz. Täglich telefonierte ich mit meinem Vater, um mich nach ihrer beiden Zustand zu erkundigen.

Eine Woche vor unserer Hochzeit sah es gar nicht gut aus. Ich habe über Nacht alles stehen und liegen gelassen und bin nach Dresden geflogen. Noch heute bin ich meinem damaligen Arbeitgeber unendlich dankbar dafür, dass ich diese Zeit einfach so frei bekommen habe. Ich habe eine Woche im Hospiz verbracht, weil die reine Anwesenheit vertrauter Personen meiner Mutter gut getan hat. Abwechselnd mit meinem Vater habe ich die Nächte auf der Couch im Zimmer meiner Mutter geschlafen. Dort habe ich die Gastgeschenke gebastelt und letzte Vorbereitungen für die bevorstehende Hochzeit getroffen.

Dann war er da. Der große Tag. Mein großer Tag. Meine Hochzeit.

Mein Vater hat mich ins Standesamt geführt. Ein aufregender Moment – für uns beide. Leider konnte meine Mutter dort nicht dabei sein.

Meine Hochzeit

Nach der Trauung und anschließendem Sektempfang sind wir für Fotos auf Schloss Wackerbarth gefahren. Es hat Bindfäden geregnet. Die Fotos konnten wir nur unter einem schützenden Balkon machen, deshalb sehen auch alle irgendwie gleich und langweilig aus.

Später haben wir die Gäste in die Feierlocation geschickt und sind als Familie zu meiner Mutter ins Hospiz gefahren. Da lag sie. Und wenn ich mir die Fotos heute ansehen, sehe ich auch wie ausgemergelt sie damals schon war. Sie war nicht mehr richtig ansprechbar und konnte nicht mehr sprechen. Und doch zeigte sie ganz deutlich, dass sie mitbekommt das da etwas besonders vor sich geht. Ihr Atmung ging sehr schnell, sie war aufgeregt und wir hatten das Gefühl, dass sie irgendwie zufrieden und glücklich wirkte.

Beruhigend war für mich die Tatsache, dass die liebe Frau meines Cousin diese Nacht bei meiner Mutter blieb und sie nicht alleine sein musste. Wir sind zu unseren Gästen gefahren und haben unsere Hochzeit gefeiert. Vor unserem großen Auftritt haben wir auf dem Klo noch einmal den Hochzeitstanz geübt. Ich bin kein begnadeter Standardtänzer und doch hat alles geklappt. Wir hatten eine schöne Hochzeitsfeier.

Irgendwann in den frühen Morgenstunden haben wir unsere Hochzeit verlassen. Mein lieber Bruder hat uns für diesen Tag des Chauffeur gemacht und hätte vorbildlicher und aufmerksamer nicht sein können. Im Auto dann die Nachricht – meine Mutter war gestorben. Als ob sie Mitternacht abgewartet hat und dann gegangen ist, sagte man uns. Unsere Hochzeitsnacht war also keine romantische Nacht der Zweisamkeit. Statt ins (noch von meiner Mutter organisierte) Hotelzimmer zu fahren, fuhren wir erneut ins Hospiz. Die Blicke, als wir als Braut und Bräutigam dort auftauchten, waren alles zwischen Mitleid, Sprachlosigkeit und Anteilnahme.

Im weißen Brautkleid saß ich also am Sterbebett meiner Mutter. Mein Vater war auch schon da. Mutti war schon zurecht gemacht. Man hatte ihr frische Sachen angezogen und Blümchen in die Hand gelegt. Ganz friedlich lag sie da. Es folgten merkwürdige Minuten der Stille und Trauer. Und plötzlich erkenne ich, dass das Timing nicht besser hätte sein können. Es war genau der richtige Moment. Wir hätten den Tag für unsere Hochzeit nicht besser legen können.

Wir haben es lange nicht an uns herangelassen. Man sieht zwar wie sich der Gesundheitszustand verschlechtert, aber man denkt nie an den Tod. Wir hatten immer Hoffnung. Wenn es so weit sein würde, wäre noch genug Zeit, in ein tiefes Loch zu fallen.

Eine Hochzeitsreise gab es für uns nicht. Stattdessen bin ich in Dresden geblieben. Ich habe meinen frisch gebackenen Ehemann alleine nach Köln fahren lassen und habe meinem Vater geholfen die Beerdigung zu organisieren und den Papierkram zu erledigen. Er sollte nicht alleine sein und das alles alleine erledigen müssen. Dafür bin ich meinem Mann bis heute unendlich dankbar.

Jetzt kennt ihr einen der größeren Stolpersteine die auf meinen Weg gepflastert waren und deren Schürfwunden mich ein Leben lang begleiten.